Im letzten Jahr wurden zwei demografische Entwicklungen sichtbar, für die es nach wie vor keine guten Erklärungen gibt: Weniger Lebendgeborene, bis auf Mai 2022, und mehr Sterbefälle als im Mittel der Vorjahre.
Zu den Lebendgeborenen schreibt das Statistische Bundesamt (Cave: dynamische Seite, Abruf 25.3.2023), dass es von Januar bis November 2022 6,4 % weniger Geburten gab als im Durchschnitt der Jahre 2019 bis 2021 und weiter:
„In Westdeutschland nahm die Geburtenzahl um 5,3 %, in Ostdeutschland um rund 11 % ab. (…) Bei Müttern mit deutscher Staatsangehörigkeit nahm die Geburtenzahl mit -8 % stärker ab als bei den Müttern ohne deutsche Staatsangehörigkeit mit -1,1 %.“
Das deutet auf soziale Einflussfaktoren hin, aber was genau die Entwicklung triggert, ist unklar. Ob es einen Zusammenhang damit gibt, dass 2021 besonders viele Kinder geboren wurden und 2022 der Rückgang vor allem bei den Zweit- und Drittgeburten ausgeprägt war, junge Familien also mit weiterem Nachwuchs erst mal abwarten? Die Demografen werden uns dazu sicher noch die eine oder andere Erklärung liefern. Absolut gesehen haben übrigens die Geburten von Februar bis Juli 2022 zugenommen, bevor sie dann wie saisonal üblich wieder zurückgingen.
Bei den Sterbefällen schreibt das Statistische Bundesamt:
„Im Februar 2023 sind in Deutschland nach einer Hochrechnung (…) 82 862 Menschen gestorben. Diese Zahl liegt im Bereich des mittleren Wertes (Median) der Jahre 2019 bis 2022 für diesen Monat (+ 2 %). Zum Jahresende 2022 hatten die Sterbefallzahlen noch deutlich über dem mittleren Wert der vier Vorjahre gelegen. Bis Mitte Februar hat sich das Sterbegeschehen schrittweise normalisiert. Zum Monatswechsel Februar/März 2023 in den Kalenderwochen 8 und 9 (vom 20. Februar bis 5. März) lagen die Zahlen dann wieder jeweils 6 % über den entsprechenden Vergleichswerten aus den Vorjahren.“
Auch hier kann man im Moment nur spekulieren. Ende 2022 könnten Atemwegserkrankungen, einschließlich der diesmal frühen Influenzawelle, zu mehr Sterbefällen geführt haben, zumal Atemwegserkrankungen 2020 und 2021 durch die Corona-Schutzmaßnahmen eingedämmt wurden. Aber ob das auch die Übersterblichkeit im Herbst erklärt? Selbst im Sommer scheint es mehr Sterbefälle als im Mittel der Vorjahre gegeben zu haben (wobei man sich das einmal altersstandardisiert ansehen müsste), hier hat eventuell die Hitzewelle 2022 beigetragen. Vielleicht machen sich in der linken roten Kurve aber auch noch ganz andere Effekte bemerkbar. Etwas klüger wird man sein, wenn im Sommer die Todesursachenstatistik für 2022 vorliegt.
Wer jetzt schon weiß, wie das alles zu erklären ist, ist natürlich eingeladen, uns sein Wissen mitzuteilen. Ich bitte allerdings darauf zu verzichten, mir erklären zu wollen, dass die Corona-Impfung in Ostdeutschland die Geburten stärker als im Westen und bei Deutschen stärker als bei Nichtdeutschen zurückgehen ließ, oder im Winter 2022 erst zu einem rapiden Anstieg und dann einem ebensolchen Rückgang der Übersterblichkeit bei den Älteren geführt hat.
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Nachtrag 29.3.2023: In der unteren Grafik weist der kleine Hügel bei den vom RKI dokumentierten Covid-Sterbefällen im Oktober 2022 darauf hin, dass Covid einen gewissen Anteil an der Übersterblichkeit im Oktober hat. Die beim INEK verfügbaren Daten zu Sterbefällen im Krankenhaus (ca. 50 % aller Sterbefälle) deuten in die gleiche Richtung: Im Oktober gab es 7.353 Sterbefälle mit der Nebendiagnose U07.1 (Covid-19, Virus nachgewiesen), im September waren es 2.839, im November 5.334. Die U99.0-Codes (Untersuchungen auf SARS-Cov-2) waren dagegen im Oktober kaum angestiegen. Auch wenn die Kausalität bei den Sterbefällen im Krankenhaus offen ist, dürfte Covid-19 somit zumindest eine Teilerklärung der Übersterblichkeit im Oktober 2022 sein.
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